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Aberwitzige Verbannung – Schilda lässt grüßen!

Mit 15. April 2024 ist das Motorradfahrverbot für „besonders laute“ Zweiräder auf sechs Streckenabschnitten in den Tiroler Bezirken Reutte und Imst neuerlich in Kraft getreten. Bis 31. Oktober 2024 dürfen legal für alle Straßen zugelassene Motorräder dort dann (schon wieder) nicht fahren, wenn ihr Standgeräusch über 95 Dezibel liegt. Dass dieser Wert genau gar nichts über das Fahrgeräusch und damit auch die potenzielle Lärmbelästigung aussagt, bleibt egal. Allerlei Grundrechte von Bikern bleiben’s auch.
Von Alexandra Keller

Dass der Begriff Schildbürgerstreich nicht selten auch für aberwitzige Regelungen oder Auswüchse der Bürokratie verwendet wird, liegt wohl daran, dass derartige aberwitzige Regelungen und Auswüchse der Bürokratie keine Seltenheit sind und eben diese Beschreibung verdienen. Der verbale Griff in die abgründige Schatzkiste von Schilda bietet sich im Zusammenhang mit dem Fahrverbot für bestimmte Motorräder auf bestimmten Tiroler Straßen jedenfalls an – und dabei springt die Schilda-Geschichte zum Kaiserbesuch ins Auge. Der Kaiser, so steht’s in dieser Schildbürger-Geschichte, will zu Besuch kommen, um zu schauen, ob es wahr ist, was man über die Bewohner von Schilda sagt. Er lässt ihnen ausrichten, sie sollen zum Empfang „halb geritten und halb zu Fuß“ entgegenkommen, womit er meint, dass man auch zu Fuß gehen kann, wenn man kein Pferd besitzt. Die Schildbürger sehen das anders. Sie beraten darüber und kommen dem Kaiser schließlich auf Steckenpferden „entgegengeritten“. Am Ende seines Aufenthaltes in Schilda garantiert ihnen der Kaiser jedenfalls absolute Narrenfreiheit.

Das unsinnige Verbot. Diese Narrenfreiheit darf der Tiroler Landesregierung ebenfalls garantiert werden, geht es um das Motorradfahrverbot, das 2020 erstmals und seither jährlich für sechs auf Bundes- und Landesstraßen befindliche, besonders bei deutschen Motorradfahrern beliebte Streckenabschnitte gilt.

„Die Bevölkerung im Bezirk Reutte wird bereits seit Jahren durch den ständig wachsenden Motorradverkehr durch Lärm stark belästigt.[…]. Daher wurde von 10. Juni bis 31. Oktober 2020 ein temporäres Fahrverbot für besonders laute Motorräder auf Teilstrecken in den Bezirken Reutte und Imst erlassen. Mit dieser auf ‚Lärmbelastung‘ basierenden verkehrsbeschränkenden Maßnahme wurde in Tirol Neuland betreten“, heißt es dazu ganz offiziell auf der Homepage des Landes, wo auch festgehalten wird: „Aufgrund der erheblichen Lärmbelastung für die im Bezirk Reutte lebende Bevölkerung werden ab dem Jahr 2021 jeweils vom 15. April bis 31. Oktober eines jeden Jahres, Fahrverbote für besonders laute Motorräder Standgeräusch (Nahfeldpegel) > 95 dB (A) erlassen:
-     B 198 Lechtalstraße von Steeg (Landesgrenze Vorarlberg) bis Weißenbach am Lech
-     B 199 Tannheimerstraße von Weißenbach am Lech bis Schattwald (Staatsgrenze Deutschland)
-     L 21 Berwang-Namloser Straße von Bichlbach bis Stanzach
-     L 72 Hahntennjochstraße 2. Teil von Pfafflar bis Imst (Passhöhe)
-     L 246 Hahntennjochstraße 1. Teil von Imst (Passhöhe) bis Imst Kreuzung Vogelhändlerweg
-     L 266 Bschlaber Straße von Elmen bis Pfafflar.“

Motorradfahrer sind Steuerzahler. In dieser das Verbot umschreibenden Information stecken einige Aberwitzigkeiten, deretwegen sich Motorradfahrer seit Kundmachung der Verordnung die Haare raufen und die Welt nicht mehr wirklich verstehen. Karin Munk, Generalsekretärin des Dachverbandes der österreichischen Zweiradimporteure und Zweiradindustrie – Arge2Rad – fasst gegenüber public die juristischen Gründe dafür knapp zusammen: „Unserer Meinung nach verletzt es unter anderem das Eigentumsrecht, denn jeder muss beim Kauf einer legalen Ware seine Steuern abführen, das ist bei uns die NOVA und die Mehrwertsteuer. Diese Fahrzeuge werden typisiert und sind somit in ganz Europa für den Straßenverkehr zugelassen.“
Motorräder können seit Inkrafttreten der Richtlinie 92/61 EWG mit einer EU-Typgenehmigung homologiert werden. Der Begriff „Homologation“ hat in der Kraftfahrzeugbranche jenen der „Typgenehmigung“ ersetzt. Eine solche Genehmigung ist immer dann erforderlich, wenn Hersteller serienmäßig produzierter Fahrzeuge oder bestimmter Fahrzeugteile diese in der Europäischen Union in Verkehr bringen wollen. Dass sie das wollen, liegt in der Natur ihrer Unternehmen, deren Kunden sich auf diese Genehmigung und damit die „Fahrerlaubnis“ auf EU-Straßen verlassen dürfen. Üblicherweise dürfen sie das, nicht aber in Tirol, wo die ehemalige Verkehrslandesrätin Ingrid Felipe (Grüne) mit einem Fahrverbot für vermeintlich „zu laute“ Motorräder auf den oben genannten bergigen Strecken offenbar ein Zeichen setzen wollte.

Verbotsregime ohne Ahnung. Gut möglich, dass Felipe dabei jene Laut-Raser:innen vor Augen oder in den Ohren hatte, denen der übermächtige Sound ihrer Maschine mehr am Herzen liegt als der Fahrgenuss an sich. Möglich auch, dass sich die ehemalige LH-Stellvertreterin gar nicht so intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und lediglich dem oftmals kritisierten grünen Verbotsregime gefrönt hat. Wie auch immer – die zweirädrigen Düser mit manipulierten und damit illegalen Motorrädern sind auch der Motorrad-Community ein Dorn im Auge. In Österreich sind rund 900.000 motorisierte Zweiräder zugelassen und es ist die oben erwähnte Typisierung, mit der im verdächtig lauten Fall der Fälle die Spreu vom Weizen getrennt werden kann. Das im Typen- und auch im Zulassungsschein festgehaltene Standgeräusch ermöglicht der Polizei nämlich vor Ort festzustellen, ob der Auspuff manipuliert wurde oder nicht. Das ist der Zweck des Standgeräusches, mehr Aussagekraft steckt nicht in ihm, doch die Tiroler Landesregierung hat das Standgeräusch zum entscheidenden Kriterium gemacht, um vermeintlich laute von leisen Motorrädern zu trennen. Überschreitet ein Motorrad stehend 95 Dezibel, darf es – das ist die entscheidende Basis des Fahrverbotes – nicht auf den im Verbot genannten Strecken fahren. „Das im Zulassungsschein eingetragene Standgeräusch ist keineswegs dafür geeignet, eine Grenze zwischen lauten und leisen motorisierten Zweirädern zu ziehen. Das könnte, wenn schon, doch wohl nur das Fahrgeräusch“, haben Karin Munk (Arge 2Rad) und der Sprecher des Zweiradhandels in der WKO, Ferdinand O. Fischer, Anfang 2023 in einem gemeinsamen Positionspapier zu den Streckensperrungen in Tirol festgehalten. Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal wurde darin auf die praktische und faktische Sinnlosigkeit der Fahrverbotsbasis hingewiesen. Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal sind sie damit auf taube Ohren gestoßen. Bei Ingrid Felipe, der ehemaligen Verkehrslandesrätin, jedenfalls. „In ihrer Aussendung vom August 2021 stellt die Landeshauptmann-Stellvertreterin dahingegen die Behauptung auf, dass je lauter das Standgeräusch, desto lauter auch das Fahrgeräusch sei“, heißt es im Positionspapier, und: „Die Arge 2Rad, der Dachverband der österreichischen Zweiradindustrie und Zweiradimporteure, gemeinsam mit der Wirtschaftskammervertretung des Zweiradhandels halten fest, dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entspricht.“

Falsch bleibt falsch. Zur Untermauerung dieser Gegenrede gibt es zig Beispiele, die den für das offizielle Tirol entscheidenden Rückschluss vom Stand- auf das Fahrgeräusch in sich zusammenfallen lassen. Zig Relationen von Stand- und Fahrgeräuschen lassen damit auch das lärmreduzierende Ziel des Verbotes verpuffen. Und obwohl die Standgeräusch-Verbotsbasis damit ziemlich willkürlich wird, wird am Verbot selbst nicht gerüttelt.

Schon 2020 hatte ein Tiroler Motorradfahrer beim Tiroler Landesverwaltungsgericht Beschwerde eingereicht, nachdem er mit seinem 100-Dezibel-Standgeräusch-Motorrad in das Fahverbotsgebiet gefahren, kontrolliert und mit einer Strafe in Höhe von 220 Euro bedacht worden war. Mit dem Strafbescheid in Händen hatte der Motorradfahrer den Rechtsweg eingeschlagen – in der Hoffnung, beim Verfassungsgerichtshof zu landen und das Verbot zu Fall zu bringen. Diesen Weg schnitt das Landesverwaltungsgericht jedoch ab, indem es die Beschwerde ab- und eine Revision nicht zuließ. Einem Individualantrag auf Aufhebung des Fahrverbotes erging es 2022 vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof ähnlich.

„[…] Der Antragsteller bringt insbesondere vor, dass die verordnungserlassende Behörde vor Erlassung der angefochtenen Verordnung kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und nicht die erforderliche Interessensabwägung vorgenommen habe“, heißt es dazu beispielsweise in der Erklärung des VfGH (VfGHV183/202220.9.2022).

Ohne näher auf die rechtlichen Bedenken des Antragstellers einzugehen, wurde der Antrag ohne weiteres Verfahren als unzulässig abgewiesen. „Überall sind wir abgeblitzt“, fasst Karin Munk den aus Sicht der rechtschaffenen motorisierten Zweirad-Community ziemlich tristen Status quo zusammen.

Schaden für den Tourismus. Die Interessensvertreter haben schon viel versucht, um auf die nicht haltbare Verbots-Grundlage aufmerksam zu machen, darauf, dass Besitzer legaler Zweiräder Grundrechte haben, und auch darauf, dass sie an einem gedeihlichen Miteinander von Motorradfahrern und Anrainern interessiert sind. Im Mai 2023 veranstaltete der Verein „Biker’s Voice“ beispielsweise ein Motorrad Geräuschmessungs-Event in der Gemeinde Zams im Tiroler Oberland und umrahmte damit die Frage: „Hat die 95dB Motorradfahrverbots-Verordnung nach nun mehrjähriger Laufzeit Fortschritte für Anrainer und Motorradtouristen in Tirol gebracht? Oder im Gegenteil sogar Schäden verursacht?“ Dass Letzteres nicht nur für den Tiroler Tourismus – 70 Prozent der Motoradfahrer auf den Verbotsstrecken kommen aus Deutschland – sondern auch für die ungleich behandelten Biker zutrifft, war rasch klar.
Gast bei der Veranstaltung war etwa der Vizebürgermeister von Landeck, Thomas Hittler, der meinte: „Die Mängel der Verordnung waren absehbar und haben von Anfang an zu Ruf-
schädigungen am Tiroler Tourismus im Ausland geführt. In der Ursachenbekämpfung wurde, wie die Messungen hier zeigen, kein wirklich bedeutender Fortschritt erzielt. Das Kontrollieren von irgendeinem „Standgeräusch“-Eintrag kann schlicht nichts über Lärmbelastungen aussagen. Wir merken nur, dass die Motorradtouristen bis auf wenige Ausnahmen mit legalen Fahrzeugen rücksichtsvoll und ruhig umgehen. Auf wenige Schönwetterperioden beschränkt. Jene, die ihre Motorräder eigenständig leiser machen wollen, dürfen das nach Gesetz oft gar nicht. Die Verordnung hat dem Land Tirol aber über die Grenzen hinweg den Ruf eingebracht, dass hier gegen Motorradurlauber unverhältnismäßig vorgegangen wird. Auch mit Auswirkungen auf den Wintertourismus.“

Und warum passiert dann nichts? Gast beim Event war auch Felipes Nachfolger in der Tiroler Landesregierung, LH-Stv. Georg Dornauer (SPÖ), der sich in cooler Pose auf einem Bike ablichten und unter anderem in den Tiroler Bezirksblättern wie folgt zitieren ließ: „Die heute hier in Zams von Bikers’ Voice ermittelten Messdaten und Analysen sind absolut aufschlussreich. […] Ich kann die Argumentation gut nachvollziehen: Letztlich geht es darum, ob die 95dB Fahrverbot-Verordnung dem Wohlergehen von Bevölkerung, Anrainern, Tiroler Tourismus, Umwelt und der Gesamtwirtschaft nach mehrjähriger Laufzeit gedient hat oder eben nicht. Nach der hier ermittelten Ergebnislage ist festzustellen, dass sich mit technisch undurchdachten Maßnahmen halt kaum sinnvolle Resultate erzielen lassen. Ich seh’ das so: Das lässt sich für alle Beteiligten wirklich besser regeln.“ Bislang ist das nicht passiert. Mit 15. April 2024 trat das Verbot neuerlich in Kraft. Und der Schildbürgerstreich ging in die nächste Runde. Mit einer aberwitzigen Verbannung.